13.05.2024 – 25.05.2024
Hi zusammen und willkommen zurück auf meinem Blog!
8 Tage noch. Es war die letzte Woche der internationals in den USA und die bedrückende Stimmung, die bis jetzt jeder in seinem eigenen Kopf ausgetragen hatte, war nun deutlich zu spüren. Unser Lehrer Brian trug im Unterricht seine Graduation-Robe zur „Feier des Tages“. Damit meinte er natürlich unsere bevorstehende Graduierung am Sonntag. Doch so sehr ich mich auf den einen Tag auch freute, stand dieser im Schatten der restlichen Woche. Im Unterricht wurde ein Stimmungsbild abgefragt. Wer freute sich auf zu Hause? Es war ziemlich genau die Hälfte. Ich sah in einige Gesichter, die sich noch vor wenigen Wochen sehr auf zu Hause gefreut hatten. Doch jetzt? Es wurde so langsam real und das war beängstigend. Ich konnte an zu Hause noch gar nicht denken, versuchte die Zeit zu stoppen und die Momente in Zeitlupe zu erleben. Und ich fing an mein Jahr zu reflektieren. Habe ich alles richtig gemacht und das Jahr bestens ausgenutzt? Hätte ich mir doch ein Auto kaufen sollen? Mein Jahr wäre so anders verlaufen. Habe ich genug unternommen? Bin ich fließend im Englischen? Fragen auf die es keine genaue Antwort gibt. Und um diesem Gedankenwirr mal wieder zu entkommen, half nur eins. Ablenkung.
Ich arbeitete 27 Stunden die Woche. Und dazu kam noch die Uni. Ich war ausgelaugt, aber ich konnte es nicht ertragen im Dorm zu sitzen und den anderen zuzuschauen, wie sie ihr halbes Leben wieder in Koffer packen. Ich wäre wahrscheinlich ein elendiges Wrack, irgendwo in der Ecke sitzend. Anderseits war das Geld natürlich auch sehr praktisch, so kurz vor meinem Reisemonat, welchen ich in weniger als 5 Wochen antreten würde. Am Montag verließ ich die Arbeit früher als geplant, um bei einer ganz wichtigen Mission auszuhelfen. Hunde streicheln!! Wir hatten 5 kleine Welpen bei uns am College zu Besuch und ich durfte einen der kleinen mit nach draußen begleiten. Da mein zweiter Name Tollpatschig ist, konnte natürlich nicht alles glatt laufen. Das wäre ja zu langweilig. Mit dem Hund auf dem Arm stolperte ich über eine Hundeleine und ließ den Hund im Sturz noch sicher zu Boden, bevor ich auf dem Zement landete. Peinlich. Sorry Wuffi!!

Nachdem Dienstag den ganzen Tag gearbeitet wurde, verabredeten eine Freundin und ich uns Mittwoch morgens zum Frühstück und liefen vom Dorm zum nahegelegenen Café. Es waren wunderschöne Gespräche, die wir bei Schoko-Croissant und Coffee, führten. Wir sprachen über Gott und die Welt. Die Frau neben uns war irgendwann entweder genervt, verstört oder belustigt. Aber gut, wiedersehen tut sie uns wahrscheinlich nicht. Ich bereute es nicht öfters mit meiner Freundin hier gewesen zu sein. Falls du das liest, Navin: Wir holen das nach, sobald du mich in Deutschland besuchen kommst!

Die nächsten Tage vergingen und ich verbrachte viele Stunden beim Cookie-Store, wodurch ich irgendwann durch die eher eingeschränkte Bewegung starke Knie und Fußschmerzen hatte.
Als wir dann am Freitag in der Kantine essen, gehen wollten und wir feststellten, dass die warme Küche bereits geschlossen hatte, mussten Cheese Curds herhalten. Auch lecker. Und was ich an unserem College so liebe? Das es so klein ist. Du hast jeden gefühlt schonmal gesehen, sofern sie sich im gleichen Gebäude aufhalten. Und so kam es, dass noch weitere Freunde am Esstisch dazustießen. Und dann ging es nach einem kurzen Kleidungswechsel zur Zeremonie. Die Verabschiedung meiner internationalen Freunde, die im gleichen Programm hier studiert hatten. Ich war sehr emotional, als ich deren Reden hörte und musste mir auf die Lippe beißen, um nicht direkt los zu weinen. Wann bin ich so emotional geworden?? Es war eine schöne Zeremonie und viele Erinnerungsfotos zieren jetzt meine Wände. Den Abend ließen wir anschließend bei einer Runde Uno ausklingen.


Und das Wochenende stand dann ganz im Motto „Party“. Den Freitagabend verbrachten wir zu 8 in unserem Lieblings-Club. Bei bester Musik genoss ich die Zeit meinen Freunden. Ein wunderschöner Abend bei dem wir uns am Ende alle in den Armen lagen. 5 Stunden schwingen wir das Tanzbein, forderten uns in Dart heraus und auch beim Tisch-Kicker kam meine ambitionierte Ader zum Vorschein. Ein unvergesslicher Abend ging zu Ende. Das ich dann am nächsten Morgen mit 4 Stunden Schlaf und kratziger Stimme auf Arbeit auftauchte, konnte ich verkraften. Denn: Wer feiern kann, kann auch arbeiten.
Am Nachmittag besuchte ich noch die Kirche, bei der eine meiner Freundinnen einen wunderschönen Gesangs-Auftritt hatte. Wir gingen dann noch einen viel zu süßen Coffee trinken und dann stand einer der schönsten Tage des Jahres vor der Tür: Die Graduation. Unsere Abschlussfeier des Colleges.

Die Feier fand traditionell in der University of Oshkosh statt, ungefähr 20 min entfernt von uns. Ich hatte mir wieder mal keine Gedanken über mein Outfit gemacht. Ein Kleiderhaufen neben mir, die Haare am Föhnen und die Uhr im Blick entschied ich mich für einen roten Blazer Anzug. Erstaunt von mir selbst, erschien ich 15 Minuten vor Abfahrt in der Eingangshalle und wartete auf meine Freunde. Wir wurden von einem amerikanischen Schulbus abgeholt, welcher uns zur Eventlocation brachte. Ich strahlte vor Glück und als wir ankamen, waren schon viele amerikanische Familien vor Ort. 1.116 Student*innen würden Ihr Abschlusszeugnis erhalten. Und ich war eine von ihnen. Wir stellten uns in die Schlange, welche uns hinter die Bühne brachte, wo wir uns dann mit dem jeweiligen Studiengang versammelten. Unser Lehrer Brian stand bei uns und erinnerte daran die Robe, sobald wir einlaufen, nicht mehr auszuziehen. Ich überlegte noch meinen Blazer auszuziehen, dachte dann aber so warm würde es schon nicht sein. Schließlich liebten die Amerikaner ihre Klimaanlagen. Und dann war es so weit.


Wir liefen in die Halle, Studiengang nach Studiengang. Ich hörte, wie jemand meinen Namen rief, drehte mich um und entdeckte meinen Social Host und ihre Familie. Sie feuerten mich von ganz oben an und ich freute mich sehr über die Unterstützung. Dann setzten wir uns planmäßig in unsere Reihe und es dauerte eine Weile, bis wir dran waren. Die gesamte Veranstaltung dauerte ungefähr 3 Stunden und anders als vermutet, war von der Klimaanlage keine Spur. Da keine Wasserflaschen im Raum erlaubt waren wurde es irgendwann sehr heiß und uns langsam schwindelig. Doch dann waren wir, die „General Studies“ Gruppe, dran, und gingen zur Bühne. Mir pochte das Herz, ich wusste das dieses Event auf YouTube live übertragen werden würde. Jetzt bloß nicht stolpern. Aber es lief alles gut und ich hörte meinen social host jubeln. Ich posierte noch vor der Kamera mit meinem Abschlusszeugnis. Wenig später vor der Universität traf ich meinen Social Host wieder und bedankte mich herzlich. Wir hielten diesen besonderen Moment gemeinsam mit der Kamera fest. Ein Moment für die Ewigkeit. Ich strahlte bis über beide Ohren und war so aufgeregt. Es fühlte sich alles an wie ein Film. Ich lief mit meinen Freunden auf den Rasen und wir schmissen die Hüte in die Luft. Auf uns und alles, was noch kommt.



Zurück im Dorm verarbeitete ich die Eindrücke und öffnete das Geschenk, welches mein Social host mir vorher überreicht hatte und war sehr gerüht. Worte die direkt ins Herz gingen und eine so aufmerksame Geste. Ich hielt kleine Ohrringe mit Wisconsin-Umriss in den Händen. Nach einem kurzen Anruf in Deutschland und um sicherzugehen, dass meine Familie den Auftritt gesehen hatte, wurde der Blazer gegen gemütliche Kleidung getauscht. Am Abend versammelten sich alle internationals gemeinsam im 4. Stock. Es gab Snacks und natürlich wieder Deutschen Kartoffelsalat. Ab Mitternacht ist am Wochenende hier quiet hour. Wer danach noch laut ist, bekommt entweder eine Verwarnung oder zahlt bei mehrfachem Verstoß direkt ein Bußgeld. Aber es war der Tag unserer Graduierung und dieser Anlass musste angemessen zelebriert werden. Und Beschwerden gab es zum Glück nicht. Wir veranstalteten eine Karaoke Night und sangen stundenlang in bester Stimmung, bis wir heiser waren. Um 2:30 Uhr beendeten wir den Abend auf der Couch mit verschiedenen Gesellschaftsspielen.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Nach der Arbeit wurde ich am Montag von Freunden abgeholt und wir machten uns auf dem Weg zum Flughafen. Die nächsten 3 Tage würden die schlimmsten des ganzen Jahres werden. Nach und nach würden die internationals nun in ihre Heimatländer zurückfliegen. Den Anfang machten meine 3 russischen Freunde. Ich konnte garnicht weinen, als ich sie zum letzten Mal umarmte. Es fühlte sich so unreal an. Doch als sie in der Sicherheitskontrolle waren, kullerten wieder die ersten Tränen. So viele unterschiedliche Emotionen in nur wenigen Tagen durchzulaufen war nicht einfach. Das würde eine herausfordernde Woche werden. Am Abend ging ich mit dem Rest meiner Freunde ein letztes Mal zum College. Es stürmte draußen, so sehr wie ich es noch nie erlebt hatte. Als es dann noch blitze dachte ich, dass das wohl ein Zeichen sei. Wisconsin verabschiedete sich von uns. Dieser Ort würde nicht mehr derselbe sein, wenn ich hier allein meine Runden drehen würde. Ein letztes Mal gingen wir ins Gym und absolvierten eine kurze Yoga-Session und liefen durch die leeren Gänge. Und dann ging es zurück. Wir ließen das College hinter uns. Es gab kein Morgen mehr. Keine Treffen in den Fluren, im Gym oder im Unterricht. Hiermit endete unsere Zeit und ach, mein Herz blutete. Wo ist die Zeit geblieben? Unser Lehrer Brian sagte noch im November letztes Jahr „die Zeit wird schnell vergehen. Und sobald ihr euch umseht, umarmt ihr euch am Flughafen. Genießt die Zeit.“. Aber dass es so schnell gehen würde??

Den Montag Abend verbrachte der Rest von uns gemeinsam am Lagerfeuer bei indonesischen Freunden. Ich genoss einen Moment ohne Angst und Trauer vor dem, was noch bevorstand. Wir zelebrierten unseren Abschluss mit leckerem Essen und schönen Gesprächen. Dienstag half ich beim Packen. Ich schaute in traurige Gesichter als die Küche ausgeräumt wurde. Ich wollte eine Stütze sein, aber war innerlich so gestresst und Kopfschmerzen begleiteten mich den Abend so stark, dass ich früh zu Bett ging. Am nächsten Morgen ging es um 4 Uhr los. Insgesamt 3-mal ging es zum Flughafen bis auch der letzte meiner Freunde winkend hinter der Sicherheitskontrolle verschwand. Dieses Gefühl, wenn Freunde zu Familie werden, und man einfach von ihnen getrennt wird, ohne zu wissen, wann man sich wiedersehen wird. Es zerriss mir das Herz. Mit mir war noch eine Freundin im Studentenwohnheim geblieben, welche ein weiteres Jahr hierbleiben würde. Aber zurück im Dorm erfüllte mich eine unglaubliche Leere. Etwas, was ich so noch nie zuvor gespürt hatte. Der Weg zum Waschraum führte mich an zwei Zimmer meiner engsten Freunde vorbei. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dort keinen mehr vorzufinden. Morgens schauten mich im Spiegel leere Augen an. Mein Weg zur Arbeit führte mich nun über einen kleinen Umweg über das Treppenhaus. Ich schaffte es nicht mal morgens diesen langen Flur zum Fahrstuhl entlangzugehen. Auf Arbeit setzte ich so gut wie möglich mein Pokerface auf. Im Studentenwohnheim startete ich einen Serien-Marathon. Bloß nicht auf falsche Gedanken kommen. Die Zeit fühlte sich wie eine Ewigkeit an.


Aber es wird besser, das wusste ich. Und in diesem Moment war ich bereit nach Hause zu gehen. Ich fing an die Tage zu zählen, bis ich Wisconsin verlassen würde. Genau 25 Tage waren es noch bis ich den Reisemonat antreten würde. Die nächsten 4 Wochen werden spannend, dachte ich. Eine Zeit, in der ich mich wieder auf Neues einlassen musste. Meine engsten Freunde waren nicht mehr hier, aber ich würde schon irgendwie einen Weg finden, trotzdem eine schöne Zeit zu haben. Da war ich mir sicher.
Danke dass du bis hierher gelesen hast und bis zum nächsten Blogeintrag!!
XOXO,
TJ